Unsere Arbeitswelt ändert sich. Die Begriffe, mit denen wir sie in Worte fassen, nicht. Sie kommen unverdächtig und vertraut daher: Arbeit, Karriere, Leistung. Was wir damit meinen, ist klar. Oder doch nicht?
Teil 1: Arbeit – ein Wort im Wandel
Arbeit ist ein vielgenutzter Begriff. Die Arbeit ist oft ein Thema in unseren Gesprächen, in den Medien, den Köpfen. Wir beschweren uns über sie, diskutieren ihre Bedingungen und philosophieren über die Arbeitswelt von morgen. Dabei entsteht leicht der Eindruck, der Begriff Arbeit würde von allen gleich verstanden – wäre ein universeller, intuitiv verständlicher Begriff. Bei genauerem Hinschauen ist er das nicht.
Was ist Arbeit?
Früher, im vorphilosophischen Sprachgebrauch, war Arbeit gleichbedeutend mit Mühsal. Heute wird Arbeit im anthropologischen und philosophischen Sinne als Tätigkeit des Menschen zur Lebensunterhaltung betrachtet. Auch in den Sozialwissenschaften dient Arbeit vor allem dem einen Zweck: zu überleben. In der VWL und BWL denkt man in eine ähnliche Richtung: Arbeit ist Erwerbstätigkeit, Existenzsicherung (Wikipedia, 2013).
Arbeit verheißt erstmal nichts Gutes
Lexika konfrontieren uns mit unzähligen Synonymen für Arbeit, die zwar weniger nüchtern sind als die Wikipedia Definitionen – aber trotzdem Bände sprechen: Andere Wörter für Arbeit sind buckeln, malochen, abmühen, ranklotzen, schuften, schinden und funktionieren.
Auch viele Sprichwörter und Redewendungen gehen in diese Richtung: „Das ist eine Schweinearbeit!“, „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, „Was man gerne tut, ist keine Arbeit“.
Vor allem aber ist Arbeit eins: alltäglich. Wir stehen auf, gehen zur Arbeit, erledigen sie. Gehen nach Hause. Sind erleichtert. Wir hinterfragen sie nicht an sich. Beschweren uns höchstens über ihre Ausgestaltung, die Umstände. Den Chef, die Arbeitszeiten, die Kollegen, das neue Projekt. Wir freuen uns aufs Wochenende und verteufeln den Montag. Woche für Woche, Jahr für Jahr.
Existenzsicherung. Was noch?
Arbeit ist also Existenzsicherung. So weit, so gut. Eine nüchterne Betrachtung zwar, aber eine, die einleuchtet. Wir möchten uns ein Leben – am besten ein schönes Leben finanzieren – also müssen wir arbeiten (wir = die meisten von uns, diejenigen ohne vererbtes Vermögen oder sonstigen Geldsegen).
Doch warum gibt es so viele Menschen, die über die Existenzsicherung hinaus arbeiten? Menschen, die, selbst wenn der Lebensunterhalt, ein guter Lebensunterhalt, längst gesichert ist, weiter arbeiten? Vielleicht schimpfend und schnaubend und leise murrend, aber doch ohne eine konkrete Notwendigkeit? An diesem Punkt muss Arbeit doch schlicht mehr sein als Existenzsicherung.
Wer sind diese Menschen, die sehr viel arbeiten – und dies nicht, um ihr Leben zu sichern, sondern um zu arbeiten? Was ist ihre Motivation, jenseits der Existenzsicherung?
„Arbeit um der Arbeit willen ist gegen die menschliche Natur“, sagte einst John Locke, Philosoph und Vorreiter der Aufklärung. Scheinbar teilen diese Meinung heute längst nicht mehr alle.
Es gibt Menschen, die gerne arbeiten. Menschen, die in ihrer Arbeit einen Sinn sehen, der weit über den Broterwerb hinausgeht. Es soll Menschen geben, die in der Arbeit Erfüllung, ja sogar durch die Arbeit sich selbst finden. Und nicht zuletzt gibt es Menschen, die die Arbeit brauchen. Nicht nur aus der Notwendigkeit heraus, sondern als Identifikation, als Strukturgeber in ihrem Tagesablauf, in ihrem Leben.
Arbeit ist das halbe Leben?
Es ist ein tröstlicher Gedanke, dass Arbeit heute mehr sein kann. Denn immerhin ist sie – einer weiteren Weisheit nach – das halbe Leben. In unseren 20ern, 30ern, 40ern, 50ern und den halben 60ern sieht es an den allermeisten Tagen so aus: Wir schlafen 8 Stunden, gehen 8 Stunden arbeiten und haben dann 8 Stunden „Freizeit“, wie auch immer diese gestaltet sein mag (wenn wir Familie haben, kommt hier noch einmal jede Menge Arbeit hinzu, die nicht unter den Begriff „Erwerbsarbeit“ fällt). Somit arbeiten wir mindestens die Hälfte der Zeit, in der wir wach sind. Unser „halbes Leben“ scheint also treffend.
Dass es bei genauerem Hinsehen nur 10-15% unserer Lebenszeit sein sollen, die wir mit Erwerbsarbeit verbringen (das sagt Bevölkerungswissenschaftlicher Rainer Münz, 2012), mag erst verwundern, ist aber über ein ganzes Lebens betrachtet (mit Kindheit, Jugend, Rente) und als Durchschnittswelt schon wieder realistischer. Das ändert allerdings nichts daran, dass sich die Arbeit in wenigen Jahrzehnten unseres Lebens konzentriert und in diesen Jahrzehnten großen Raum einnimmt: In unseren besten Jahren arbeiten wir am meisten.
Bei einem Faktor, der in unserem Leben einen so großen Platz, ja so viel Zeit in Anspruch nimmt (seien es nun „nur“ 15% oder 30%) tut es irgendwie gut, diesen nicht nur als großes Übel zu sehen. Dass dies nicht jeder kann, ist klar und leider ein Umstand, der nicht zu leugnen ist. Aber nur Mühsal, nur Plackerei, nur schuften und buckeln und Schweinearbeit – das ist eben heute auch kein treffender Arbeitsbegriff mehr .
Ein neuer Arbeitsbegriff muss her!
Ja – Menschen beschweren sich über ihre Arbeit. Ganze 39% der Deutschen empfinden ihren Job als anstrengend und belastend (Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Opinion im Auftrag der Europäischen Kommission, 2007).
Doch es gibt auch eine andere Seite: Arbeit gibt uns das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Wir sind stolz nach getaner Arbeit. Sie bereichert in vielen Fällen unser Leben, gibt uns zuweilen sogar neue Kraft, statt bloß welche zu rauben. Sie beschert uns – hoffentlich – auch Erfolgserlebnisse. Ja – Arbeit kann zuweilen glücklich machen – selbst das kommt vor!
Es ist Zeit, umzudenken. Weg von einem Verständnis von Arbeit, das durch seinen knochenharten Ursprung immer noch überwiegend negativ gefärbt ist. Hin zu einem Arbeitsbegriff, der auch die positiven Seiten integriert. Sinngebung, Selbstentfaltung, persönliche Bedürfnisbefriedigung. Nicht nur, denn das wäre auch realitätsfremd, aber eben auch. Dieses Umdenken findet in den Medien schon teilweise statt. In unseren Köpfen, unserem Wortschatz und unseren Redewendungen kommt es nur langsam an.
Welche Bilder erscheinen vor deinem inneren Auge beim Begriff Arbeit?
Gastautorin: Jana Tepe beschäftigt sich tagtäglich mit den Fragen unserer Berufswelt und setzt sich für lebensfreundliche Arbeitsmodelle ein. Mit ihrem Unternehmen Tandemploy möchte sie dem Thema Jobsharing in Deutschland eine Stimme geben und bei der Umsetzung unterstützen. Informationen und Erfahrungen rund um das Thema Jobsharing teilt sie auf dem Blog zweiteilen.de.