Unsere Arbeitswelt ändert sich. Die Begriffe, mit denen wir sie in Worte fassen, nicht. Sie kommen unverdächtig und vertraut daher: Arbeit, Karriere, Leistung. Was wir damit meinen, ist klar. Oder doch nicht?
TEIL 2: Karriere
Ich gestehe es gleich zu Beginn: Das Wort Karriere hatte für mich lange Zeit einen komischen Beigeschmack. Ich selbst fand den Begriff Karriere immer irgendwie negativ behaftet. Bis ich merkte, dass viele andere, ja die überwiegende Mehrheit meiner Mitmenschen, Karriere machen als etwas durchaus Positives und Erstrebenswertes betrachten. Ich begann mich zu fragen, warum das Wort sich in meinem Kopf so querstellte. Und stellte etwas fest, das mir mein Unbehagen verständlicher machte. Karriere, in unserem gesellschaftlichen Verständnis, hat immer eine bestimmte Tendenz, eine ganz bestimmte Richtung: Es geht immer nur nach oben. Es gibt eigentlich keine Umwege, keine Abwege, ja eigentlich auch wenig Leben in einer klassischen Karriere.
Was ist Karriere?
Der Duden hält eine sehr eindeutige Begriffserklärung für Karriere bereit: Karriere, das ist der erfolgreiche Aufstieg im Beruf. Weiterhin ist sie gleichbedeutend mit: Beförderung, Fortkommen, Vorwärtskommen, Emporstieg. Im Volksmund spricht man davon, die Karriereleiter hinaufzuklettern, eine Bilderbuchkarriere hinzulegen. Wenn jemand Karriere macht, dann geht dies in der Vorstellung der Menschen oft einher mit jemandem, der sich gegen etwas anderes entscheidet.
Karriere führt nach oben!
Die Richtung von Karriere, das wird schnell klar, geht nur in eine Richtung: nach oben. Und – sie scheint ausschließlich. Entweder Karriere – oder Leben. Karriere, so die Annahme, ist etwas, das zu Lasten des Privatlebens geht. Wer nicht mit dem Strom schwimmt, nicht den gesellschaftlichen Regeln folgt, sich nicht völlig fokussiert, der ist auch schnell wieder raus: Karriereknick, Karriereabstieg. Ein Kind wird schnell mal zur Karrierefalle.
Wer legt die Richtung fest?
Doch wer entscheidet eigentlich, was Karriere ist und was nicht? Wer legt fest, dass Karriere stets nach oben führt, die Leiter hoch, schnurstracks in die Chefetage? Sind es die Firmenchefs, die uns das suggerieren? Sind es die Personaler, die uns und unseren Lebenslauf auf den Prüfstand stellen? Oder sind es vielmehr unsere Mitstreiter und Konkurrenten, die uns unter Druck setzen? Sollten wir nicht vielmehr selber entscheiden, was Karriere in unserem Fall bedeutet, was gut für uns und unser Leben ist?
Wie stereotyp wir Karriere tatsächlich betrachten zeigen die folgenden zwei Geschichten:
Paul hat sich jahrelang für die Bank aufgeopfert, Nachtschichten geschoben, unzählige Überstunden angesammelt. Die Belohnung waren ein schneller Aufstieg in der Hierarchie, viel Geld, Anerkennung. Seine junge Familie allerdings blieb oft auf der Strecke. Als sein Sohn anfing zu laufen, jeden Tag neue Fortschritte machte, die er kaum mitbekam, entschied Paul sich für einen anderen Weg. Er überzeugte seinen Chef, ab sofort nur noch 60% zu arbeiten, um mehr Zeit für seine Familie zu haben.
Ist das ein Karriereschritt? Oder ein Karriereknick?
Ein zweites Beispiel:
Johanna hat eine Ausbildung zur Floristin gemacht, wurde anschliessend übernommen. Johanna mag ihren Beruf, verdient bescheiden, aber doch genug, um gut davon leben zu können. Nach fünf Jahren in ihrem Job eröffnet sich Johanna eine tolle Möglichkeit: Sie bekommt die Chance, die Filialleitung zu übernehmen und ein kleines Team von zwei Leuten zu leiten.
Ist das Karriere?
Wie intuitiv wir darüber urteilen, was eine Karriere ist und was nicht, ist teilweise erschreckend. Es zeigt, wie sehr wir Karriere mit dem Aufstieg in sehr traditionellem Sinne, in bestimmten Branchen, auf bestimmten Leveln gleichsetzen. Karriere, das ist nicht selten auch gleichbedeutend gemeint mit Studium, mit wachsendem Einkommen, mit Beförderung. Stundenreduzierung, lebensfreundliche Arbeitsmodelle, der eigene Weg? Das ist oft nicht das erste, woran man denkt.
Umwege in verträglichen Dosen
Wer heute in seiner beruflichen Laufbahn, insbesondere zu Beginn, andere Wege einschlägt, kann durchaus auf Verständnis hoffen – allerdings nur in bestimmten Maßen. Ein Gap Year im Ausland zwischen Studium und Berufseinstieg? Eine Weltreise zwischen zwei Jobs? Wird meist noch wohlwollend abgenickt. Eine 3-jährige Tischlerlehre, wenn einen nach dem Studium das Bedürfnis packt, etwas mit den eigenen Händen zu machen? Schon deutlich schwieriger.
Umwege in verträglichen Dosen sind heute zwar okay – allerdings nur so lange sie nicht zu verrückt werden und das Langzeitziel (nach oben!) nicht außer Sichtweite gerät.
Karriere = sinnvolle Lebensgestaltung
So klar die Gleichsetzung von Karriere und Aufstieg ist, so unzureichend ist sie heute. Sie ist den Herausforderungen und Chancen unserer Zeit nicht mehr angemessen. Wie können wir einen Karrierebegriff kultivieren, der so losgelöst vom Leben mit all seinen Anforderungen, Abenteuern, Aufs und Abs ist? Sollte es nicht vielmehr darum gehen, das Leben an sich sinnvoll zu gestalten? Keinen Wettlauf mit anderen zu machen, sondern seinen eigenen Weg zu finden?
Karriere neu denken!
In einer Arbeitswelt, die so voll von Möglichkeiten ist, sollte die Karriere nicht auf den steilen Weg nach oben beschränkt sein. Karriere, das sollte viel mehr sein als Aufstieg. Karriere macht, wer Sinn findet in seiner Arbeit, wer darin aufgeht, Freude hat, sie in Einklang bringt mit seinem Leben. Karriere macht, wer sich nicht für die Karriere, sondern für Karriere und Leben entscheidet. Karriere, das ist ein Teil des „Lebensweges“ – und das ist übrigens auch die ganz ursprüngliche, lateinische Bedeutung des Wortes.
Mit so einem Karrierebegriff, ja, damit könnte auch ich mich anfreunden.
Gastautorin: Jana Tepe beschäftigt sich tagtäglich mit den Fragen unserer Berufswelt und setzt sich für lebensfreundliche Arbeitsmodelle ein. Mit ihrem Unternehmen Tandemploy möchte sie dem Thema Jobsharing in Deutschland eine Stimme geben und bei der Umsetzung unterstützen. Informationen und Erfahrungen rund um das Thema Jobsharing teilt sie auf dem Blog zweiteilen.de.