In unserer dreiteiligen Serie „Unternehmen – Fit for human beings?„, stellen wir neue Strategien und Praxis-Beispiele für mehr Partizipation und Selbstbestimmung in Unternehmen vor. Teil 3: Führungskraft braucht Haltung, bitte!
“Ich höre neuerdings immer: Die Mitarbeiter sollen mehr entscheiden … Das Team organisiert sich selbst … Es braucht mehr Transparenz … Und mehr Freiheitsgrade … Und Feelgood Management! Dann sollen die doch endlich mal entscheiden! Und sich entfalten! Die haben doch keine Ahnung! Feelgood Management! Ich flipp‘ gleich aus, wenn ich noch mal irgendwo gesagt bekomme, dass man das heute alles braucht, um erfolgreich zu sein …”
Menschenbild in der Arbeitsorganisation im Wandel
In vielen Unternehmen wird erkannt, dass der geltende Standard für Unternehmensorganisation und das damit verbundene Bild des Menschen in der Arbeitsorganisation überholt ist. Dazu ein Beispiel: Die Organisationswissenschaftler Friedrich Glasl und Bernhard Lievegoed haben sich mit der Evolutionsentwicklung von Unternehmen auseinandergesetzt:
Hierarchien wie zu Taylor’s Zeiten
Sobald Unternehmen ihre Pionierphase durchschritten haben und erfolgreich wachsen, beginnen sie sich damit zu beschäftigen, wie sie sich am besten organisieren, um ihren Erfolg skalieren zu können. Sie organisieren sich in Bereiche, Abteilungen, Teams. Es werden Stellen beschrieben und Prozesse eingeführt, die weiterhin ein effizientes Arbeiten ermöglichen sollen. Glasl und Lievegoed beschreiben, dass Unternehmen, die sich in diesem differenzierten Organisationsmodell befinden, sich in solchen Marktumgebungen sehr gut bewähren, die Ursache-Wirkungs-Beziehungen aufweisen, also Umgebungen, die planbar sind. Das differenzierte Organisationsmodell ist pauschal einer hierarchisch-arbeitsteilig organisierten, Pyramide gleichzusetzen. Damit folgt es den Gedanken von F. W. Taylor, der 1911 sein Werk „The Principles of Scientific Management“ veröffentlichte und damit die auch noch heute sehr verbreitete Sichtweise auf die Struktur eines Unternehmens beeinflusst. Nämlich die, dass man den Erfolg auf den Zielmärkten sicherstellt, indem man das Denken, also Themen wie Strategie, abgeleitete Zielsetzungen, mittel- und langfristige Planungen und Steuerung der Arbeit im oberen Teil der Pyramide ansiedelt, und das Handeln, nämlich das Verfeinern und Ausführen von Plänen, im unteren Teil der Pyramide ansiedelt. Da das so ist, wird die Organisation in Bereiche und Abteilungen aufgeteilt. Über die Zeit entsteht eine starke Oben-unten-Orientierung und -Kräfteverteilung im Unternehmen.
Phänomen der Lückenbildung
Bei Organisationen zeigt sich diese laufende Auseinandersetzung zwischen Organisation und Dynamik dann in entstehenden Lücken. Niels Pfläging schreibt z.B. in seinem neuen Buch „Organisation für Komplexität“, dass das differenzierte Organisationsmodell in heutiger Zeit zu drei Lückenerscheinungen führt:
1. Die zeitliche Lücke: Aufgrund der Trennung von Planung und Ausführung kommt es zu zeitlichen Verzögerungen. Um die Ausführung der Planung sicherzustellen, werden Strategien, Zielen, abgeleitete Maßnahmen, Prognosen und Ergebnisüberwachung angefertigt, die dann über die Linien- oder Projektorganisation ausgeführt werden sollen bzw. deren Vorgehen controlled. Das Bemerkenswerte ist, dass wir uns heute kaum vorstellen können, wie es denn anders laufen kann. So sehr haben wir uns an diese Trennung gewöhnt.
2. Die funktionale Lücke: Die funktionale Aufteilung in Abteilungen und Bereiche und Spezialistenteams führt zu klar geregelten Zuständigkeiten und der Reduzierung von Verantwortung. Prozesse und deren Überwachung, Planungen, Regeln und Standards dominieren das Arbeiten. Aufgrund der einhergehenden Arbeitsteilung haben nur wenige wirklich Kontakt zu den Kunden oder Märkten sowie das Wissen über die jeweiligen Bedürfnisse. Jeder nachgelagerte Wertschöpfungsschritt ist „Stille Post“-Spiel. Diejenigen, die den größten Teil der Wertschöpfung erbringen sind in der Regel weit weg vom Markt. D.h. keine Einheit im Unternehmen kann eigenständig und eigenverantwortlich den Kunden und Markt bedienen.
3. Soziale Lücke: Durch die hierarchische Aufteilung und das Top-Down-Konzept werden soziale Prozesse negiert bzw. ausgeblendet. Im schlimmsten Fall zeigt sich das in Management by Numbers und Führen durch Angst. Im Vordergrund steht der immer der formale Aspekt der Organisation. Informelle Aspekte werden im Sinne von „Wir wissen doch alle, wie wichtig das Gespräch am Kaffeeautomaten ist …“ behandelt: Als irgendwie sinnvoller, geduldeter Sonderfall.
Alle drei Lücken erzeugen Verschwendung. Keine Lücke unterstützt die Wertschöpfung in der Organisation oder nützt Kunden, Mitarbeitern oder Eigentümern.
Dynamik, aber wie?
Organisationen, die erfolgreich mit Dynamik auf ihren Märkten umgehen wollen, müssen sich darauf konzentrieren, Dynamik in ihrer Organisation zu erzeugen und bewusst zuzulassen. Das steht nun ganz im Gegensatz zu dem, was wir heute in den meisten Organisationen finden. Dort gilt das allgemeine oben genannte Verständnis, dass Beherrschbarkeit durch Prozesse, Regeln, Stellenbeschreibungen und top-down-Führungsmodelle hergestellt werden kann.
Diese Grundhaltung kann in Frage gestellt werden. Es soll ja bewusst Dynamik erzeugt werden, also gezielt daran gearbeitet werden, in der Organisation Überraschendes entstehen zu lassen. Und Dynamik entsteht am Besten durch die Miteinbeziehung von Menschen. Im Kern geht es um Interaktion zwischen den Menschen.
Lernen von den Weltmeistern
Kommen wir wieder zu dem Manager, der sich eingangs beklagte.
„Lieber Manager, ja, das sind die Auswirkungen der neuen Grundhaltung. Setze auf den Erfolg von Teams, ausschließlich. Es gibt keine Einzelleistung, nur Teamerfolg. Je dichter das Team am Kunden oder Markt ist, desto mehr unternehmerische Entscheidungen müssen dort fallen. Dazu braucht es eine hohe Transparenz in Information und Daten, damit es immer im Kontext des Unternehmenserfolges entscheidet. Schaffe Stellenbeschreibungen ab und fördere das Denken und den Erfolg in Teams. Denke dein Unternehmen nicht in Bereichen und Abteilungen und Oben und Unten, sondern in Außen und Innen und Teams, die den Zug des Marktes spüren. Da es keine Stellenbeschreibungen mehr gibt, hast du auch keine Stelle inne. Aber du hast Aufgaben, Erfahrungen und Talente. Bringe diese in die Teams ein, die am Markt erfolgreich sein müssen – sie werden es schätzen. Und bringe dich in die Dinge mit ein, die im Innen des Unternehmens gebraucht werden, z.B. Innovation. Lerne es, in selbstbestimmten Rollen zu denken und dich immer wieder in neue Rollen zu bringen. Werde ein Coach und lerne, dich von Dingen zu dissoziieren. Die Teams werden dir den Freiraum danken. Lasse Aufgaben transparent werden, die für den Unternehmenserfolg wichtig sind und lasse die Teams entscheiden, wie sie gelöst werden. Lasse dazu die Teams u.a. entscheiden, wer eingestellt wird, und lasse es auch entscheiden, wenn es sich verkleinern will. Fördere Könner und Problemlöser und messe deren Erfolg am Markt. Unterstütze die anderen auf dem Weg dorthin. Aber denke immer an die Wichtigkeit von Interaktion und nicht an die Optimierung des Einzelnen. Entwerfe neue Karrierewege und Gehaltsmodelle in einem Unternehmen, in dem Oben nicht wichtig ist, sondern der Umgang mit Überraschungen. Schaffe Verhältnisse, in denen Fehler geschätzt werden. Und wenn du so denkst und handelst, dann habe keine Angst um deine Position im Unternehmen, denn du wirst dort dringender denn je gebraucht. Ach ja, und wenn du Feelgood Manager bist, kann das nie schaden.“
Anmerkung: Dies ist eine Kurzversion eines Beitrags von Winald Kasch in dem Magazin PERSONALÜHRUNG der Deutschen Gesellschaft für Personalführung e.V. aus dem Juni 2014. http://www.dgfp.de/
Gastautor:
Winald ist Berater, Coach und Trainer und ist überzeugt, dass wir uns mit anderen Modellen der Arbeitsorganisation auseinandersetzen müssen, wollen wir wieder mehr Freude bei der Arbeit und Höchstleistung für Kunden erhalten. Er hat als Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens die Transformation hin zu einer agilen Organisation verantwortet. In diesem Wandel der Arbeitskultur hat er sich insb. mit zeitgemäßen Modellen zu Führung, HR, Vertrieb, Controlling und Administration beschäftigt.
Mit Gleichgesinnten hat er ORGANEO (www.organeo.de) ins Leben gerufen und bietet dort die Möglichkeit neue Denkmodelle zu Organisation und Führung wirklich zu verstehen.